lunes, 30 de septiembre de 2013

when others express your thoughts better




Mehrheit, wie entsteht sie? Der Einzelne verhält sich zum gesellschaftlichen Klima, das er vorfindet; es ist zumindest ein Risiko, wenn einer der öffentlichen Meinung widerspricht. Je mehr Leisetreter in einem Land, umso verwöhnter wird allerdings das Ohr der Macht-Inhaber, umso kränkbarer. Was der herrschenden Meinung widerspricht, ist skandalös. Infolgedessen werde ich vorsichtig. Soll ich mir das Leben denn schwerer machen? Infolgedessen gebe ich dem Sozial-Druck nach; dabei erliegt der Einzelne leicht einer Täuschung: ich halte es bei allen anderen für Gesinnung, was bei mir nur Duckmäuserei ist, bestenfalls Meinungslosigkeit. Die Summe aller Duckmäuser, die sich das Leben nicht schwerer machen wollen, ergibt endlich den Popanz der öffentlichen Meinung, die sich die Macht-Inhaber formulieren; dazu haben sie die Mittel: Schule, Presse, Fernsehen, Universität, Kirche. Eben weil sie im Grunde nicht Ausdruck eigenen Bewusstseins ist, reagiert die öffentliche Meinung gereizt auf jedes andere Bewusstsein; die Mehrheit empfindet Bewusstsein schlechthin als subversiv: Wehret den Anfängen! Sehen die Leisetreter sich in der Mehrheit, so brauchen sie aber nicht mehr leisezutreten. Die öffentliche Meinung als Konsensus aller, die der Sozial-Druck korrumpiert hat, gibt sich immer moralisch; sie muss kompensieren. Die Angst vor Repressalien mausert sich zur Gesinnung. Zwar übernimmt diese Mehrheit nicht die Macht, daran hindert sie eben die Gesinnung, ihr Einverständnis mit den Macht-Inhabern; sie nimmt jetzt den Macht-Inhabern lediglich die Repressalie ab. Ruhe und Ordnung! Dafür tritt der Stammtisch ein. Dafür müssen die Macht-Inhaber kaum noch sorgen, das besorgt die Mehrheit, die sich die Macht-Inhaber durch Repressalie geschaffen haben, auf demokratische Weise.
Man bezeichnet das Volk gerne als Souverän: weil ja die Mehrheit entscheide.
Wie souverän ist das Volk?


[Max Frisch, Tagebuch, 1969]

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